Die schreckliche deutsche Sprache?

Die schwierigsten Grammatikthemen - Prolog mit Mark Twain

Es ist wahr, dass die deutsche Sprache nicht zu den einfach zu erlernenden Sprachen zählt. Sie hat durchaus ihre Raffinessen und Stolpersteine und bereitet so manchem Lerner erhebliche Schwierigkeiten. Aber nur selten verleiht jemand dem Ärger über diese Schwierigkeiten so laut und vehement Ausdruck wie Mark Twain in seinem Aufsatz „Die schreckliche deutsche Sprache“, der mit der Erkenntnis endet, dass die "deutsche Sprache sanft und ehrfurchtsvoll zu den toten Sprachen gelegt werden" solle, "denn nur die Toten haben die Zeit, diese Sprache zu lernen". 

Deutsch in 30 Jahren 

Zu diesem Schluss kam er auf Grund seiner philologischen Studien, die ihn davon überzeugten, „dass ein begabter Mann Englisch (ausgenommen Rechtschreibung und Aussprache) in dreißig Stunden lernen kann, Französisch in dreißig Tagen und Deutsch in dreißig Jahren." 

Was Mark Twain am schrecklichsten fand

Im Folgenden findet sich eine Zusammenstellung jener Aspekte der deutschen Sprache, die Mark Twain am schrecklichsten zu sein schienen.

  1. Die Suche nach dem richtigen Kasus (am meisten machte ihm der Dativ zu schaffen) verglich er mit der vergeblichen Suche nach einem Ararat, die im Treibsand endet.
  2. Die deutschen Sätze bezeichnete er als „erhabene und ehrfurchtsgebietende Kuriosität“, hasste ihre Parenthesen, Unterparenthesen, Überparenthesen und Hauptparenthesen und forderte einfache und geradlinige Erzählungen.
  3. Ein besonderes Ärgernis waren ihm die „Verbhäufungen“ am Ende von Sätzen („haben sind gewesen gehabt haben geworden sein“).
  4. Die trennbaren Verben sah er als „Blasen eines Ausschlags“, von denen die deutsche Grammatik übersät sei.
  5. Im deutschen Genussystem erkannte er keinen Sinn und kein System und empfahl eine Reorganisation desselben „entsprechend dem Willen des Schöpfers“.
  6. Zur Adjektivdeklination merkte er folgendes an: „Wenn ein Deutscher ein Adjektiv in die Hände kriegt, dekliniert er es und dekliniert es immer weiter, bis der gesunde Menschenverstand ganz und gar herausdekliniert ist.“
  7. Die Komposita waren ihm ob ihrer schweren Verständlichkeit ein besonderer Dorn im Auge. Er bezeichnete sie als „alphabetische Prozession“ und unterstellte manchen von ihnen so lang zu sein, dass sie eine Perspektive aufweisen.
  8. Den Sinn und das System der Satzklammer konnte er nicht nachvollziehen und forderte, das Verb so weit an den Anfang des Satzes zu schieben, dass es mit bloßem Auge leicht zu erkennen sei.

Literaturtipp: Mark Twain „Die schreckliche deutsche Sprache“

Zwei Wörter sind zu wenig

oder „Der Tod einer Sprache“

Die deutsche Sprache hat im Allgemeinen den Ruf, eine komplizierte und schwierige (vor allem schwierig zu erlernende) Sprache zu sein. Dem Ektischen dagegen kann wohl nachgesagt werden, zu den einfachsten Sprachen gehört zu haben. „Gehört zu haben“ ist schon richtig, denn das Ektische gibt es seit dem von Franz Hohler beschriebenen tragischen Zwischenfall leider nicht mehr: 

Das Ektische gehört zu den toten Sprachen und scheint mir deshalb die interessanteste von allen zu sein, weil sie nur zwei Wörter hatte. Das erste hieß „M“ und das zweite „Saskrüptloxptqwrstfgaksolömpääghrcks“. „M“ ist weiblich und heißt „Was ist denn jetzt wieder los?“, und „Saskrüptloxptqwrstfgaksolömpääghrcks“ ist männlich und heißt „Nichts“.Das kam daher, dass die Ekter in einem erloschenen Vulkantrichter lebten, der tief im Innern immer noch rumorte. Jedesmal, wenn es rumpelte, schossen die Ekterinnen erschreckt auf und riefen: „M?“, worauf ihre Männer mit beruhigender Stimme sagten: „Saskrüptloxptqwrstfgaksolömpääghrcks“. Das war das einzige, worüber die Ekter sprachen, alles andere erledigten sie in so großer Eile, dass ihnen keine Zeit zum Sprechen blieb.Ein unruhiges Land muss das gewesen sein, dieses Ektien.

Einmal kam es infolge von ungewöhnlichen Häufungen des Vulkangrollens sogar zu politischen Demonstrationen, bei denen eine große Zahl von Ektern vor das Rathaus zog und in Sprechchören die Worte „M! M! M!“ ausrief, worauf der ektische Präsident in einer großen Rede versicherte: „Saskrüptloxptqwrstfgaksolömpääghrcks!“ Dies stimmte allerdings nicht ganz, und der Präsident selbst wusste das auch, aber unglücklicherweise hatte er keine weiteren Ausdrücke zur Verfügung, und so gehört das Ektische heute zu den ausgestorbenen Sprachen. 

(aus Franz Hohler „Der Granitblock im Kino und andere Geschichten“) 

Wenn sich also das nächste Mal jemand bei Ihnen über Orthographie- oder Grammatikprobleme beschwert, erzählen Sie getrost diese Begebenheit als „Warnung“ vor Übersimplifikation! 

Dank an Herrn Anton Reyntjes, der dem Wunderland diesen Text zugesandt hat.

 

Der berühmteste deutsche Satz

"Ich bin ein Berliner!"

Der weltweit berühmteste deutsche Satz, das stellte „Die Welt“ im Juni 2003 fest, stammt aus John F. Kennedys legendärer Rede vom 26. Juni 1963 in Berlin. „Vor zweitausend Jahren“, sagte Kennedy, „war der stolzeste Satz, den ein Mensch sagen konnte, der: ‚Ich bin ein Bürger Roms!' Heute ist der stolzeste Satz, den jemand in der freien Welt sagen kann: ‚Ich bin ein Berliner!‘“ - „Ich bin ein Berliner“ wurde zum international bekanntesten deutschen Satz.

 

 

Die Entwicklung der Zeit

Als die deutsche Sprache mehrdimensional wurde 

Die deutsche Sprache kannte lange nur zwei Tempusformen: Präsens und Präteritum. Wenn man Zukünftiges ausdrücken wollte,  gab man dies entweder mit Hilfe von Präsensformen oder mit Umschreibungen („wollen“, „sollen“) wieder. Erst zur Zeit des Humanismus (15./16. Jahrhundert) wurde die Sechsergliederung des deutschen Tempussystems (Plusquamperfekt, Präteritum, Perfekt, Präsens, Futur I, Futur II), angelehnt an das Lateinische, eingeführt. Nun setzte sich auch das Futur I, wie wir es heute kennen („werden“ + Infinitiv) durch. 

Eine neue Dimension 

Das Aufkommen dieser Tempusformen steht für den Sprachhistoriker Fritz Tschirch sogar in engem Zusammenhang mit einer "neuen Dimension der Wirklichkeitswahrnehmung": Das Deutsche sei dadurch von einer bloß flächigen zu einer räumlichen Darstellung der Vorgänge in Leben und Welt durchgedrungen.

Buchtipps: Fritz Tschirch: „Geschichte der deutschen Sprache“, Band 2; Peter Braun: „Tendenzen in der deutschen Gegenwartssprache“

 

Beschwer’ dich doch am Salzamt!

Tipps zum leichteren Umgang mit Beschwerden  

 

Können Sie nicht einschlafen? Vergeht die Zeit nicht schnell genug? Hat Ihnen jemand Ihr Lieblingsjoghurt aus dem Kühlschrank entführt? War eine Nussschale im selbst zubereiteten Müsli? Kam Ihr Bus wieder mal zu spät? Gibt es zu viel oder zu wenig Schnee für Ihren Geschmack? Sind Sie mit ihrer Regierung unzufrieden? Dann beschweren Sie sich einfach am Salzamt!!!  

Historische Herkunft der Redewendung

 

Salzämter waren im Mittelalter und bis in die Neuzeit wichtige Behörden, die den Salzabbau und den Handel mit Salz überwachten. Im 19. Jahrhundert wurden die Salzämter aufgelöst und stellen nun ein äußerst praktisches sprachliches Relikt dar.

Das Salzamt steht also für eine nicht (mehr) existierende Behörde und demnach werden Beschwerden, die man an das Salzamt richtet, ungehört und ohne Konsequenzen verhallen. 

 

Tipps zur richtigen Anwendung

 

Richtig verwendet kann die Redewendung das Leben im Allgemeinen und den Umgang mit Beschwerden im Speziellen erleichtern. Eine durchaus brauchbare Anwendung wäre beispielsweise ein automatischer Filter für Beschwerde-E-Mails, der selbständig Antworten erstellt (z.B. „Vielen Dank für Ihre Anregungen. Ihre E-Mail wird sofort an das Salzamt weitergeleitet.“) und die E-Mails anschließend löscht.

  

Über Vorschläge für weitere Tipps zur richtigen Anwendung oder Beispiele für die Verwendung der Salzamts-Redewendung freue ich mich sehr. Außerdem können Sie sich im Rahmen der Wunderland-Kommentar-Funktion über einfach alles beschweren, was Sie dem Salzamt schon immer mal sagen wollten!

 

Besten Dank an Yvonne aus Singapur, die diesen Artikel angeregt hat!

 

 

Unserdeutsch, Küchendeutsch, Texasdeutsch

Deutsche Sprachinseln 

Die etwas seltsam klingenden Namen „Unserdeutsch“, „Küchendeutsch“ und „Texasdeutsch“ sind Bezeichnungen für kleine deutsche Sprachinseln außerhalb Europas. 

Unserdeutsch (Rabaul Creole German)

Unserdeutsch wird in Papua-Neuguinea noch von ungefähr hundert Personen gesprochen und gehört zu den Kreolsprachen. Die mittlerweile vom Aussterben bedrohte Sprache hatte Einfluss auf die als Verkehrssprache benutzte Kreolsprache Tok Pisin. 

Küchendeutsch

Küchendeutsch gehört zu den Pidginsprachen und wird von etwa 15.000 Personen, hauptsächlich älteren, in Namibia gesprochen. Der Name leitet sich davon ab, dass Angestellte der Kolonialherren (die u.a. in den Küchen arbeiteten), diese Sprache verwendeten. 

Texasdeutsch

Texasdeutsch ist der Dialekt von deutschen Auswanderern, die sich im 19. Jahrhundert in Texas niederließen und stellt eine Mischung zwischen Deutsch und Englisch dar, die sich im Laufe der Zeit immer mehr dem Englischen annäherte. Die Grammatik erfuhr z.B. durch den Wegfall des Genitivs und den Zusammenfall von Dativ und Akkusativ viele Vereinfachungen.  

Mehr Informationen dazu finden sich unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Unserdeutsch, http://de.wikipedia.org/wiki/Küchendeutsch und http://de.wikipedia.org/wiki/Texasdeutsch

 

 

Samstag oder Sonnabend

Endlich Wochenende, egal wie man den Tag nun nennt! 

Wie bei „Mittwoch“ distanzierte man sich mit dem alt- bzw. mittelhochdeutschen Begriff sambaztac bzw. sam[e]ztac  von der Erinnerung an vorchristliche Gottheiten (lateinisch Saturni Dies, auch englisch Saturday). Stattdessen wurde das vulgärgriechische Wort sámbaton (von griechisch sábbaton) entlehnt, dessen Ursprünge in der hebräischen Sprache liegen und das den Sabbat, den nach jüdischem Glauben geheiligten wöchentlichen Ruhetag, bezeichnet.

Der besonders im mittel- und norddeutschen Sprachraum gebräuchliche Begriff Sonnabend stammt von einer altenglischen Bildung, die mit der angelsächsischen Mission auf das Festland gelangte (altenglisch sunnanæfen, althochdeutsch sunnūnāband, mittelhochdeutsch sun[nen]ābent). Ursprünglich wurde Sonnabend nur für den Vorabend des Sonntags verwendet, später erweiterte sich die Bedeutung und bezeichnete den ganzen Vortag.

Was noch wissenswert ist:

Da die Wortbedeutung von „Samstag“ nicht so präzise und eindeutig wie die anderen Wochentagsbezeichnungen abzuleiten ist, inspirierte dies Paul Maar zur Erfindung des Sams als Hauptfigur einer Kinderbuchreihe.

Klimakatastrophe, Bundestrojaner und Sterbetourismus

Wörter und Unwörter des Jahres 

Am Ende eines jeden Jahres werden Rückblicke und Bestandsaufnahmen verschiedenster Arten präsentiert. In diesem Rahmen wird auch der Sprachgebrauch der deutschsprachigen Länder analysiert und diverse Institutionen wählen die Wörter und Unwörter des Jahres. Die Jurys entscheiden sich für Wörter und Phrasen, die die öffentliche Diskussion des vergangenen Jahres besonders geprägt haben bzw. für wichtige Themen stehen.

Entscheidung für 2007

Die Gesellschaft für deutsche Sprache wählte „Klimakatastrophe“ zum deutschen Wort des Jahres. Das Unwort des Jahres, "Herdprämie", gab die Frankfurter Universität bekannt. Es setzte sich gegen die Begriffe "klimaneutral" (Platz 2) und "entartet" (Platz 3) durch. Die Universität Graz entschied sich für „Bundestrojaner“ als österreichisches Wort des Jahres. „Komasaufen“ setzte sich als Unwort des Jahres durch. Die Deutschschweiz kürte „Sterbetourismus“ als Wort und „Klimakompensation“ als Unwort des Jahres. Der ehemalige Vizekanzler von Österreich, Hubert Gorbach, steuerte unbeabsichtigt den österreichischen Satz des Jahres bei, indem sein Bewerbungsschreiben veröffentlicht wurde, in dem es heißt „The world in Vorarlberg is too small“. Peinlich für ihn, aber wohl wahr!

Höhepunkte der letzten zehn Jahre

  • Deutschland: „Reformstau“ (1997) und „Fanmeile“ (2006) als Wörter des Jahres; „freiwillige Ausreise“ (2006), „Entlassungsproduktivität“ (2005) und „sozialverträgliches Frühableben“ (1998) als Unwörter des Jahres.
  • Österreich: „Penthouse-Sozialismus“ (2006) und „Nulldefizit“ (2001) als Wörter des Jahres; „nichtaufenthaltsverfestigt“ (2001) und (immer wieder aktuell!) „Bubendummheiten“ (2004) als Unwörter des Jahres.
  • Schweiz: „Aldisierung“ (2005) als Wort des Jahres; „erweiterter Selbstmord“ (2006) und „Ökoterror“ (2004) als (ganz unglaubliche) Unwörter des Jahres.

 

Frohe Weihnachten!

Es treibt der Wind im Winterwalde
Die Flockenherde wie ein Hirt,
Und manche Tanne ahnt, wie balde
Sie fromm und lichterheilig wird,
Und lauscht hinaus. Den weißen Wegen
Streckt sie die Zweige hin - bereit,
Und wehrt dem Wind und wächst entgegen
Der einen Nacht der Herrlichkeit.

(Rainer Maria Rilke) 

 

Frohe Weihnachten und ein gutes neues Jahr wünscht Ihnen das Wunderland Deutsch.  

 

"Es ist, als hätten sie zwei Augen."

"Man schaut sich den Umlaut an, und der Umlaut schaut zurück." (Michael McKean) 

Eine der auffälligsten Besonderheiten der deutschen Sprache ist auf den ersten Blick erkennbar, wenn man einen deutschen Text vor sich hat: es sind die Umlaute ä, ö und ü. Nicht viele Sprachen haben Umlaute in ihrem Alphabet und deshalb haben viele Deutschlernende mit ihrer Aussprache große Probleme. Aber nicht nur die Aussprache macht ihnen zu schaffen: die Umlaute führen mitunter auch zu Bedeutungsunterschieden wie etwa in zahlen – zählen, achten – ächten, fordern - fördern, wurde – würde, drucken - drücken ...

Wie entstand der Umlaut?

Die Umlaute entstanden – bildlich gesprochen – durch den „machtgierigen“ Vokal i (oder den Halbvokal j), der nicht nur seine eigene Silbe, sondern auch die vor ihm stehende Silbe beherrschen oder zumindest beeinflussen wollte: Der selbst helle Vokal i wollte den Vokal der vorausgehenden Silbe sich selbst ähnlich, also heller, machen. Diese „Machtbestrebnisse“ begannen mit der Beeinflussung des Vokals a, später wurden auch die  anderen Vokale umgelautet und im Laufe der Zeit entstanden unsere heutigen Umlaute ä, ö, ü. Im weiteren Verlauf der Sprachentwicklung bildeten sich Umlaute heraus, die nichts mit dem i-Umlaut, sondern mit Analogien zu tun haben.

Beliebtheit im angelsächsischen Raum

Umlaute erfreuen sich im angelsächsischen Raum einiger Beliebtheit. David Bergmann spricht in seinem Buch „Der, die, was?“ sogar von einem „Umlautneid“ und davon, dass Umlaute bewusst eingesetzt werden, um Aufmerksamkeit zu erregen. Belege dafür finden sich beispielsweise in der Eismarke „Häagen Dazs“, deren Benennung nach einem Kunstbegriff erfolgte und für die Konsumenten europäisch klingen sollte, und im „Heavy-Metal-Umlaut“ (oder englisch „röck dots“). Mit diesem speziellen Umlaut schmücken sich Heavy-Metal-Bands wie Motörhead, Mötley Crüe oder Lääz Rockit, um fremdartiger zu wirken.

 

Freitag

Tag der Liebesgöttin Freya 

Der Freitag war bei den Römern der Liebesgöttin Venus (lateinisch Veneris dies – „Tag der Venus“) geweiht. Wie bei anderen Wochentagen übernahmen die Germanen diese Bezeichnung und ersetzten die römische Göttin durch eine eigene, in diesem Fall durch ihre Liebesgöttin Freya (althochdeutsch frīatag oder frijetag, mittelhochdeutsch vrītac). 

Was noch wissenswert ist:

In den romanischen Sprachen ist die Verbindung zur Venus immer noch in den Namen für Freitag zu erkennen, z. B. französisch vendredi, italienisch venerdi).

Ist der Dativ dem Genitiv sein Tod?

Ein Totgesagter meldet sich zurück

Bastian Sick ist in seiner Funktion als Sprachnörgler nicht der erste, der den Rückgang des Genitivs verkündet. Ludwig Reiners rief bereits Anfang der 1960er Jahre dazu auf, dem Genitiv ein sprachökologisches Biotop einzurichten („Rettet den Genitiv!“) und seitdem vernimmt man immer wieder Klagen über den Verlust des Genitivs.

Steht es um den Genitiv tatsächlich so schlecht?

Nein. Er ist wohl eher eines der prominentesten Vorzeigeobjekte (neben Konjunktiv und Anglizismen) "radikaler" Sprachverfallsgruppierungen. Bei undifferenzierter Betrachtung kann durchaus der Eindruck entstehen, dass der Genitiv zurückgeht. Wenn man aber alle Funktionen des Genitivs im Blick behält, ergibt sich folgendes Bild:

  • Zunahme des Genitivs im Nominalstil: Genitivkonstruktionen erleben derzeit im Nominalstil eine Hochkonjunktur. Wenn viel Information in komprimierter Form geboten werden soll, wird sehr häufig auf den Genitiv zurückgegriffen (z.B. „die Ursachen des Unfalls der Reisegruppe“, „die Notwendigkeit der Veränderung des Titels der Dissertation“ usw.)
  • Gleichbleibende Verwendung des Genitivs: Feste Wendungen mit dem Genitiv (z.B. sich eines Besseren besinnen, seines Amtes walten, jeder Beschreibung spotten usw.) halten sich genauso im Sprachgebrauch wie genitivische Adverbialbestimmungen (z.B. eines Tages, eines Morgens, unverrichteter Dinge usw.).
  • Abnahme des Objektgenitivs: Die Zahl der Verben, die als einzige Ergänzung ein Genitivobjekt fordern (z.B. bedürfen, erinnern, gedenken, sich rühmen, sich vergewissern, harren, sich annehmen usw.) nimmt nicht erst jetzt, sondern seit Jahrhunderten ab.

Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass der Genitiv zwar Terrain an Präpositional- und Dativobjekte verliert, auf der anderen Seite aber starke Zunahmen in Substantivgruppen verzeichnet.

Buchtipps: Werner König: „dtv-Atlas Deutsche Sprache“; Peter Braun: „Tendenzen in der deutschen Gegenwartssprache“; Helmut Glück/Wolfgang Sauer: „Gegenwartsdeutsch“

Gleich spielt's Granada!

Von Sprachirrtümern und Enttäuschungen 

Die österreichische Redewendung „Gleich spielt’s Granada!“ in der Bedeutung „das wird Konsequenzen haben“ bzw. als Ankündigung einer handfesten Auseinandersetzung ist faszinierend, weil man unwillkürlich an das Ende der Reconquista von 1492 denkt, als die Stadt Granada den katholischen Königen zurückgegeben wurde. 

Etymologische Recherchen

Nach erfolglosen Recherchen nach der tatsächlichen Herkunft der Redewendung in diversen etymologischen Lexika und Nachschlagewerken für sprichwörtliche Redewendungen ist es zwei Forumsteilnehmern zu verdanken, dass das Rätsel gelöst werden konnte. Vielen Dank! 

Eine herbe Enttäuschung

Was im empfohlenen Buch „Lexikon der Sprachirrtümer Österreichs“ (toll ;-)) stand, war enttäuschend. Die Redewendung hat weder mit der südspanischen Stadt noch mit dem oben erwähnten historischen Ereignis etwas zu tun. Stattdessen stammt der Ausdruck aus der Soldatensprache und versinnbildlicht die Angst der Soldaten vor einem Granatenhagel. (Kann man sich einen banaleren Ursprung vorstellen?) Gebräuchlich wurde die Redewendung, nachdem Augustin Laras Lied „Granada“ (1935) ein Welterfolg wurde. 

Buchtipp: Sigmar Grüner / Robert Sedlaczek:  „Lexikon der Sprachirrtümer Österreichs“ 

 

Deutsch, wie geht es dir?

Von den Befindlichkeiten unserer Sprache 

Unsere Sprache ist in stetem Wandel begriffen. Sie verändert sich in jedem Moment und das, seit Menschen sie verwenden. Wenn Sprachwandel wahrgenommen wird, ist sehr häufig von Sprachverfall die Rede, weil die Veränderungen negativ bewertet werden.

In der neuen Rubrik „Deutsch, wie geht es dir?“ soll die Frage nach dem Sprachwandel und nach den Befindlichkeiten der deutschen Sprache gestellt werden. In regelmäßigen Abständen werden Artikel zu den Tendenzen der Gegenwartssprache erscheinen, die – um in der Metapher zu bleiben – (vermeintliche) Krankheiten, Geschwüre, Vernarbungen, Heilmittel und Erholungsprozesse unserer Sprache behandeln.

 

Advent

... Aber Tannen, Engel, Fahnen lassen uns den Tag schon ahnen, und wir sehen schon den Stern. (Theodor Fontane)

Unser Wort Advent bedeutet Ankunft (Zeit der Ankunft Christi und ist aus dem Lateinischen entlehnt (lat. adventus = Ankunft). Sprachlich verwandt sind die Begriffe „Adventisten“ und „Abenteuer“ (mhd. āventiure, von lat. advenire = sich ereignen; eine besondere Ähnlichkeit zeigt sich im englischen Wort adventure).

Die Adventszeit wurde im 6./7. Jahrhundert eingeführt. Anfangs gab es zwischen vier und sechs Adventsonntage. Papst Gregor (der Große; 540-604) legte schließlich vier Adventsonntage fest, die symbolisch für die 4000 Jahre stehen, welche die Menschen laut Kirchengeschichtsschreibung auf die Geburt Christi warten mussten.

 

Donnerstag

Tag des Donnergottes 

Die alt- und mittelhochdeutschen Wörter Donares tag bzw. donerstac sind Lehnübersetzungen aus dem Lateinischen (Jovis dies). Im Lateinischen ist der Tag Jupiter geweiht, was sich heute noch in den Bezeichnungen der romanischen Sprachen widerspiegelt (vgl. italienisch giovedì, französisch jeudi). Die Germanen setzten ihren Donnergott Donar oder Thor mit Jupiter gleich und veränderten den Namen des Wochentages entsprechend. 

Was noch wissenswert ist:

In manchen Dialektgebieten (z.B. Bayrisch, Teile von Österreich) trifft man noch auf die Dialektbezeichnung „Pfinztag“ (mittelhochdeutsch pfinztac)  für Donnerstag. Diese Bezeichnung stammt aus dem Griechischen (pēmpte hēméra - „fünfter Tag“ ) und sollte den heidnischen Bezug zum Donnergott eliminieren. 

 

Alles Gute zum Geburtstag, Ferdinand!

Ferdinand de Saussure – Begründer der Sprachwissenschaft 

Er ist eigentlich kein Held der deutschen Sprache selbst, aber seine Forschungen helfen uns dabei, sie zu verstehen. Vor genau 150 Jahren, am 26. November 1857, wurde der Begründer der modernen Sprachwissenschaft und des Strukturalismus, Ferdinand de Saussure, in Genf geboren. Seine Konzepte fanden nicht nur in der Linguistik, sondern auch in der Anthropologie, in der Psychoanalyse und in der Literaturwissenschaft Anwendung.

Die großen Leistungen des Ferdinand de Saussure
  • Nach seiner Dissertation über die Sanskrit-Grammatik unterrichtete er an den Universitäten von Paris und Genf. In seinen Vorlesungen zu Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft zwischen 1906 und 1911 liegt sein späterer Ruhm begründet. (Das Werk verfasste allerdings nicht Saussure selbst; die Mitschriften wurden von seinen Studenten postum veröffentlicht.)
  • Für Saussure bestand Sprache aus drei Teilen, die sich gegenseitig bedingen: aus menschlicher Rede (langage), abstraktem Regelsystem (langue) und aus dem Sprechen (parole) – nur langue konnte für ihn Gegenstand der Sprachwissenschaft sein.
  • Er unterteilte die Sprachwissenschaft in „synchrone“ (Sprache als System von Werten zu einem bestimmten Zeitpunkt) und in „diachrone“ Sprachwissenschaft (zeitliche Entwicklung der Werte).
  • Berühmt wurde auch seine „Theorie des sprachlichen Zeichens“: Sprachliche Zeichen bestehen im Sinne Saussures aus einem Signifikat (= begriffliche Inhaltsseite) und aus einem Signifikant (= Ausdrucksseite). Beispielsweise bezeichnet die Lautfolge „Haus“ (Signifikant) die Vorstellung eines tatsächlichen Hauses (Signifikat)

 

Im Klammergriff

Die Satzklammer: Segen oder Fluch der deutschen Sprache? 

Eine der ganz besonderen Eigenarten des deutschen Satzes, ja der deutschen Sprache, ist die Satzklammer. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass zwei Teile eines Satzgliedes die anderen Teile des Satzes einschließen  (z.B. „Ich habe das Theaterstück vor zwei Wochen in einem kleinen Theater in Stuttgart gesehen.“). Nur wenige Sprachen fassen die Elemente des Satzes so sehr zu einer inhaltlichen Ganzheit zusammen wie die deutsche. Ein besonders schwieriges Beispiel einer Satzklammer, bei dem mehr als 60 Worte das Subjekt des Nebensatzes von seinem Prädikat trennen, stammt aus Heinrich von Kleists „Michael Kohlhaas“:

„Es traf sich, dass der Kurfürst von Sachsen auf die Einladung des Landdrosts, Grafen Aloysius von Kallheim, der damals and er Grenze von Sachsen beträchtliche Besitzungen hatte, in Gesellschaft des Kämmerers Herrn Kunz und seiner Gemahlin, der Dame Heloise, Tochter des Landdrosts und Schwester des Präsidenten, andrer glänzenden Herren und Damen, Jagdjunker und Hofherren, die dabei waren, nicht zu erwähnen, zu einem großen Hirschjagen, das man, um ihn zu erheitern, angestellt hatte, nach Dahme gereist war ...“ 

 

Vor- und Nachteile der Satzklammer

In der Tatsache, dass der Prozess der Informationsvermittlung lange offen und unbestimmt bleibt, weil die wichtigste Information, meist das Verb, ganz am Ende steht, liegen sowohl Vor- als auch Nachteile der Satzklammer begründet. Einerseits widmet der Leser/der Hörer dem ganzen Satz, bis zum Ende, seine Aufmerksamkeit.  Andererseits ist diese Art des Satzbaues anstrengender und unökonomischer als ein funktionsleichterer ausklammernder Stil, wie er in der gesprochenen Sprache häufig vorkommt.

Mittwoch

Mitte der Woche und Tag Wodans 

Woher sich das Wort Mittwoch ableitet, ist nicht schwierig zu erraten. Der althochdeutsche Begriff mittawehha und das mittelhochdeutsche mit[te]woche sind Lehnübersetzungen von dem kirchenlateinischen Ausdruck media hebdomas (Mitte der Woche).  Der Begriff ersetzte eine ältere Bezeichnung, um die Erinnerung an die heidnischen Gottheiten auszulöschen. Die ältere Bezeichnung als Tag Wodans ist allerdings in anderen germanischen Sprachen erhalten geblieben, z.B. englisch Wednesday oder niederländisch woensdag. 

Was noch wissenswert ist:

Für die Römer war der Mittwoch der Tag des Merkur (lateinisch dies Mercurii), was sich in den romanischen Sprachen heute noch niederschlägt, z. B. französisch mercredi, italienisch mercoledi oder spanisch miércoles.

Die "beliebtesten" Rechtschreibfehler

Die Fallstricke der Orthographie  

Rechtschreibfehler gibt es viele – in allen Arten und Varianten: Fehler in der Getrennt- und Zusammenschreibung, in der Groß- und Kleinschreibung, in der Worttrennung, in der ss-ß-Schreibung, bei der Zeichensetzung usw.

Was aber sind die „beliebtesten“, also die häufigsten Rechtschreibfehler? Welche Wörter verleiten dazu, falsch geschrieben zu werden? Diese Frage beantwortet uns die Homepage www.korrekturen.de, die eine alphabetisch geordnete Liste von besonders oft falsch geschriebenen Wörtern präsentiert.

 

Eine kleine Kostprobe der „beliebtesten“ Rechtschreibfehler:

  • der selbe statt derselbe: die Demonstrativpronomen derselbe, dieselbe, dasselbe werden immer zusammengeschrieben
  • eigendlich statt eigentlich: dieser Fehler ist auf eine falsche Analogiebildung zu Wörtern wie jugendlich oder endlich zurückzuführen
  • Sylvester statt Silvester: der letzte Tag des Jahres wird immer mit i geschrieben; beim Namen gibt es beide Varianten
  • insbesonders statt insbesondere: insbesonders stellt eine Verschmelzung von insbesondere und besonders dar und ist nicht korrekt
  • gewunken statt gewinkt: das zweite Partizip von winken heißt gewinkt nicht gewunken, z. B. Sie hat ihrer Nachbarin zugewinkt.
  • Gries statt Grieß: das Nahrungsmittel wird mit –ß geschrieben; die s-Schreibung ist lediglich für den Griesgram möglich
  • Hobbies statt Hobbys: seit der Rechtschreibreform von 1996 wird der Plural von englischen Fremdwörtern, die auf –y enden, mit –ys und nicht mehr mit –ies gebildet.
  • hoffendlich statt hoffentlich: das Adverb hat nichts mit hoffend oder endlich zu tun; fehlerhafte Analogiebildungen führen zu diesem Fehler
  • ziehmlich statt ziemlich: ziemlich ist mit sich ziemen verwandt und braucht kein stummes h
  • übrigends statt übrigens: übrigens ist eine Zusammensetzung aus übrig und der Endsilbe -ens 

Buchtipp:

Duden. Richtig schreiben - kurz gefasst. Die 111 häufigsten Stolpersteine der Rechtschreibung